![]() Componisten/werken Domenico Cimarosa: Requiem g-moll in der neuen Breitkopf-Urtext-Ausgabe
© Benjamin-Gunnar Cohrs (Bremen), August 2008
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Das Requiem g-moll von Domenico Cimarosa (1749-1801) zählte zu den durchaus verbreiteten geistlichen Werken des 18. Jahrhunderts, geriet jedoch später weitgehend in Vergessenheit, bis es in neuerer Zeit von Giovanni Ricordi wiederveröffentlicht wurde. 1974 wurde es ausserdem durch eine Ausgabe von Etienne Krähenbühl in der Edition Kunzelmann (Eulenburg, Zürich) zugänglich. Nicht zuletzt dank einiger weniger Einspielungen gilt es zumindest unter Kirchenmusikern inzwischen als Geheimtipp, findet aber längst noch nicht die Anerkennung, die es verdient. Umso mehr Aufmerksamkeit gilt der neuen kritischen Ausgabe von Reinmar Emans, die der Breitkopf-Verlag im Sommer 2008 herausbrachte - erstmalig mit einem käuflichen Orchestermaterial. Freilich ist diese Ausgabe nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Sie wirft im Gegenteil neue Fragen auf und ist nicht ohne weiteres so zu verwenden, wie sie sich darstellt. Der Herausgeber hat zwar im der Partitur beigegebenen kritischen Bericht die umfangreiche Quellenlage dargestellt, doch das Vorwort ist leider ausgesprochen schweigsam hinsichtlich der Entstehung des Werkes. Daher seien entsprechende Informationen, soweit eruierbar, hier zusammengefasst: 1787 akzeptierte Cimarosa eine auf drei Jahre befristete Anstellung als Kapellmeister am Hofe der Zarin Katharina der Großen. Rossi und Fauntleroy teilen dazu mit: »Irgendwann zwischen dem ersten und dritten Dezember trafen die Cimarosas in St. Petersburg ein. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurde der Komponist durch den Herzog Antonio de Serra-Capriola, allmächtiger Minister sowie Botschafter des Königs von Neapel am Hofe zu St. Petersburg, der Herrscherin vorgestellt. (...) Cimarosa fand sich bald an seiner ersten Auftrags-Arbeit: Die Herzogin de Serra-Capriola starb wenige Tage nach seiner Ankunft, und für den Trauergottesdienst in der römisch-katholischen Kirche St. Katherina zu St. Petersburg komponierte Cimarosa auf Bitten des Herzogs seine Messa pro defunctis a 4 voci con VVni, Corni da Caccia obbligato e Basso (.) Die Manuskript-Partitur ist signiert und datiert mit >1787.<. Die Sopransoli in dieser Messe sind sehr schön, aber recht kurz, während die Chorsätze - entweder in strengem Kontrapunkt oder concerto-artig mit wechselnden Soli und Tutti - ziemlich geradeheraus gehalten sind, ähnlich wie Cimarosas Chöre in seinen dramatischen Opern. Das Requiem ist musikalisch als ein einheitliches Ganzes gehalten, auch wenn es aus abgesetzten Teilen besteht. Die Substanz, die es zusammenhält, findet sich zum Beispiel deutlich in Passagen wie dem Eingangsthema des Introitus, das an verschiedenen anderen Punkten wiederkehrt, im Requiem aeternam, im Dies irae, im Tuba mirum, im Lacrymosa und der üblichen Schlussfuge. Leider hielt die Zarin nicht viel von Cimarosas ersten Bemühungen in Russland und äusserte ihre Bedenken in einem Brief an Baron Friedrich Melchior von Grimm: >Cimarosa hat hier ein Requiem für die Herzogin de Serra-Capriola komponiert, sowie eine komische Oper, für die ich keine zehn Pfennig geben würde.< « (Nick Rossi & Talmage Fauntleroy, Domenico Cimarosa: His Life and His Operas, Greenwood 1999, S. 113f; für diesen Essay übersetzt vom Verfasser.) Auch das Vorwort der Breitkopf-Ausgabe (vgl. S. III) kam zu dem Schlu: »Das vorliegende Requiem wurde, wie die autographe Partitur ausweist, 1787 anlässlich des Todes der Fürstin von Serra Capriola komponiert.« Freilich ist dies anhand der Quellenlage und der Angaben im kritischen Bericht keineswegs so sicher, wie es scheint: Als Primärquellen gelten eine autographe Partitur (=A; vgl. S. 133) sowie ein zugehöriger Stimmensatz (= B; von Kopistenhand, mit autographen Korrekturen), beide heute in der Bibliothek des Majella-Konservatoriums Neapel. Das Titelblatt scheint das Kompositionsjahr zu bestätigen. (»Di Dom:co Cimarosa nel '87«; der kritische Bericht gibt allerdings nicht an, ob das Titelblatt ebenfalls autograph ist oder nicht.) Ursprünglich endete das Werk mit der Cum Sanctis-Fuge, wie aus dem autographen Vermerk »Il Fine.« hervorgeht. Später hat Cimarosa ein Responsorium nachkomponiert. Es findet sich in beiden Quellen und ist in A ausdrücklich bezeichnet mit »siegue Libera me« am Ende der Cum sanctis-Fuge, und von Cimarosa eindeutig gekennzeichnet auf der letzten Seite mit den Worten: »Finis Laus Deo. Scritta per la fù Duchessa Serra Capriola. I morta il di 12xbre in Pietroburg.« (»Geschrieben für die verstorbene Herzogin Serra-Capriola. Sie starb am 12. Dezember in St. Petersburg.«) Das Todesjahr 1787 wird u. a. durch den oben zitierten Brief der Zarin bestätigt. Dies Libera ist in einer weiteren Quelle enthalten, einer Partitur-Abschrift C, die der Herausgeber aufgrund philologischer Befunde als Kopie einer »offenkundigen Frühfassung« bewertet. C enthält noch nicht das nach dem Introitus und Kyrie folgende Graduale. A ist nach Meinung des Herausgebers ebenfalls nicht das Kompositions-Manuskript (S. 131), das offenbar verlorengegangen ist. (Diese Urschrift sei im Folgenden X genannt.) Der Herausgeber meint dazu: »Man wird wohl davon ausgehen können, dasss C als Repräsentant der Petersburger Aufführung diese Fassung überliefert.« Dazu im Widerspruch stünden aber A und B, da der kritische Bericht über das Libera me wie in A überliefert mitteilt: »Zugleich lässt eine ganze Reihe von Korrekturen es als möglich erscheinen, dass es sich hier um ein Kompositions-Autograph handelt, während die vorangegangenen Sätze mit Sicherheit eine Abschrift der Kompositions-Partitur darstellen.« Wenn aber A eine autographe Kopie einer verschollenen Urschrift X wäre, auf die auch C zurückgeht, müsste das Libera in A ebenfalls eine Abschrift sein, kein »Kompositions-Autograph«, wie der Herausgeber meint. Dieser Widerspruch wird von ihm nicht aufgelöst. Umso drängender wäre angesichts der Besonderheit, die dieses Libera darstellt, der Versuch einer Klärung der Umstände der Aufführung. Solche Fragen sind für den mit der Aufführungspraxis vertrauten Kirchenmusiker wichtig und wären gerade im Vorwort einer Neu-Ausgabe wünschenswert. Die Herzogin starb am 12. Dezember; Trauergottesdienst und Bestattung fanden wohl sicherlich bald danach statt. Wenn das Requiem anlässlich dessen komponiert und aufgeführt worden wäre, hätte Cimarosa X zur Gänze komponiert, eine Abschrift C herstellen lassen, eine eigenhändige Kopie A angefertigt, gleich anschließend das Libera ergänzt, dazu den Stimmensatz B kopieren lassen. Das alles in so wenigen Tagen? Sicher scheint nur das, was die Quellen wirklich eindeutig belegen: Nach dem Tod der Herzogin Serra-Capriola am 12. Dezember trug Cimarosa zu unbekanntem Zeitpunkt das Libera in A nach. Der Stimmensatz B wurde nach A erstellt und weist Aufführungs-Spuren auf. Rossi und Fauntleroy zufolge war der Witwer der Auftraggeber des Werkes; wir wissen jedoch nicht, ob Cimarosa das ganze Werk wirklich erst in Petersburg komponierte, oder ob er - was mir wahrscheinlicher ist - auf ein möglicherweise bereits aus Italien mitgebrachtes Requiem zurückgriff und dieses nur überarbeitete (Hinzufügung des Libera). Mitgeteilt wird auch nicht, in welcher Form, wann und wie oft das gesamte Requiem letztlich in St. Petersburg zu Gehör gebracht wurde. (Das genaue Datum der Beerdigung der Herzogin haben schon Rossi und Fauntleroy leider nicht mitgeteilt.) Gerade angesichts so vieler Fragezeichen wäre es angebracht gewesen, wenn der Herausgeber mit mehr Nachdruck auf die Problematik der Entstehung hingewiesen hätte. Die Neu-Ausgabe feiert sich selbst mit dem epitheton ornans einer »ersten vollständigen Gesamtausgabe« des Werkes. In der Tat wird das Libera hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Einer Gesamt-Aufführung stehen allerdings einige Argumente entgegen: Schon die Quellenlage zeigt, dass es sich offenbar seitens des Komponisten um einen Zusatz handelte. Der kritische Bericht listet neben A, B und C nur noch zwei weitere Abschriften des Libera allein (M; N). Dem entgegen stehen neun Partitur-Abschriften (D bis L) und ein weiterer Stimmensatz (zu E) ohne das Libera. In dieser Form war das Requiem also verbreitet; noch Rossi und Fauntleroy sprechen von der »üblichen Schlussfuge«, obwohl sie sich auf das Autograph A berufen. Dies entspricht der Tatsache, dass im 18. Jahrhundert nicht alle Teile der Totenmesse, wie sie das Missale Pius V seit 1570 verbindlich festgeschrieben hat, mehrstimmig oder mit Instrumentalbegleitung aufgeführt wurden. Üblicherweise wurden nur die Hauptteile (I. Introitus, II. Kyrie, V. Sequentia, VI. Offertorium, VII. Sanctus, VIII. Agnus Dei, IX. Communio) mehrstimmig musiziert; die bekannten Totenmessen von Mozart und Michael Haydn folgen dem beispielsweise genau. Die Teile III. (Graduale), IV. (Tractus), X. (Responsorium) und XI. (Antiphon) wurden meist choraliter gesungen. Das hatte auch praktische Gründe: Responsorium und Antiphon waren Teile der Bestattung nach dem Abendmahl; die Trauergemeinde prozessierte unter Choralgesang zur Grabstätte. Zugleich ergab sich dadurch die Möglichkeit, ein Requiem in einem viel späteren Gedenk-Gottesdienst aufzuführen, bei dem natürlich keine Beerdigung mehr stattfand. Graduale und Tractus wurden im 18. Jahrhundert nur ausnahmsweise größer besetzt vertont. Ausnahmen gab es in der Regel nur aufgrund bestimmter Anlässe mit abweichender Gottesdienst-Ordnung, liturgischer Besonderheiten oder lokaler Traditionen. So ist zum Beispiel die Grande Messe des Morts von Francois Joseph Gossec (1760) äusserst individuell geschnitten: Kyrie, Tractus, Responsorium und Antiphon fehlen ganz; Graduale, Sanctus und Agnus Dei sind verkürzt, das Offertorium erweitert; in französischer Tradition folgt dem Sanctus ein Pie Jesu, und anstelle der Communio gibt es noch einmal den Requiem-Vers als Post Communio. Auch bei Cimarosa fehlte in C das Graduale noch ganz, und Tractus und Antiphon (In Paradisum) sind gar nicht von seiner Hand erhalten. Umso interessanter wäre die Frage, warum nun eigentlich das Libera von Cimarosa nachkomponiert wurde: Handelte es sich zum Beispiel vielleicht um eine Bestattung in einem geschlossenem Raum (in der Kapelle des Fürstensitzes), was eine Instrumentalbegleitung erlaubte? Auch hierzu schweigt sich die Neu-Ausgabe aus. Noch schwerer wiegt, dass das Libera mit einer Wiederholung des Kyrie/Christe/Kyrie endet. Dies ist nun wider das Missale Pius V und wäre allenfalls mit einer liturgischen Besonderheit in der (allerdings katholischen) Katharinenkirche erklärbar. Das mag ein weiterer Grund für die vergleichsweise geringe Anzahl erhaltener Abschriften sein. Liturgisch gesehen wäre der Satz aufgrund all dessen eigentlich gar nicht im Gottesdienst aufführbar - es sei denn als unabhängige, selbständige Trauermusik. Noch eigenartiger ist die nur für diesen Satz größere Besetzung mit je zwei zusätzlichen obligaten Oboen und Fagotten in der Partitur, die sonst im gesamten Requiem nicht vorkommen. Schliesslich moduliert der Satz rasch aus g-moll (ohne grundlegende Vorzeichnung notiert) und ist in Tonarten-Feldern aus dem Bereich d dorisch gehalten (C-Dur, a-moll, F-Dur), streift das ferne f-moll und mündet schliesslich in dem erwähnten Kyrie, das sich aus d-moll hin zu einem Schluss in D-Dur bewegt. Mir zumindest ist aber kein einziges Requiem des 18. Jahrhunderts bekannt, das in der Dominante endet. All dies macht den Satz für eine zyklische Aufführung eigentlich unbrauchbar; man könnte allenfalls spekulieren, ob Cimarosa auch noch an eine Antiphon dachte, die dann wieder nach g-moll (oder G-Dur) hätte zurückführen können. Eine Möglichkeit, den Schluss im Sinne des Gesamtwerkes zu retten, wäre allenfalls eine Bearbeitung: Man könnte die letzten 10 Takte harmonisch problemlos nach G (= eine Quarte abwärts) transponieren und das unpassende Kyrie umtextieren. (Zum Beispiel: >Libera me, Domine, de morte aeterna. Libera me.<) Und wenn die Ausführenden das Libera schon einbeziehen möchten, könnten sie außerdem erwägen, die Fagotte zur Stützung des Basso herbeizuziehen, insbesondere in den Chorsätzen und dort, wo auch die Hörner beteiligt sind, wie dies ohnehin herkömmliche Praxis im Barock ist. Das Responsorium wäre infolge aller Einwände besser als Anhang bezeichnet worden, dessen Aufführung freizustellen wäre. Doch so, wie sich die Ausgabe darstellt, ist dies der ärgerliche Versuch, aus dem falschen oratorienhaften Verständnis von Messen der Romantik heraus eine angebliche >Vervollständigung< als kleine Sensation zu vermarkten, die Gelegenheits-Ergänzung des letzten Satzes als allgemein verbindlich zu erklären und ein an sich eher kammermusikalisches Werk in g-moll durch einen stilistisch abweichenden Appendix zu ergänzen, mit einem nach liturgischem Verständnis falschen Text-Ende, mit einem D-Dur-Schluss, der in der Wirkung der Aufführung gerade den Gesamteindruck stören muss, und noch dazu mit vergrößerter Bläser-Besetzung: Jeder Kirchenmusiker, der für zehn Minuten Musik zwei Oboen und Fagotte zusätzlich >einkaufen< muss, wird es danken, zumal die Ausgabe im Vorspann unter >Besetzung< die zwei Oboen und Fagotte explizit als obligat angibt und damit den Anschein erweckt, die vier Instrumente seien im ganzen Werk beteiligt - ein veritabler Etikettenschwindel! Im Ablauf ist aufgrund einer Auslassung noch eine weitere Unstimmigkeit zu finden. Streng genommen wäre dem Missale zufolge schon nach dem Vers >Te decet hymnus< das anfängliche >Requiem aeternam< zu wiederholen. So steht es in C, wo diese Wiederholung sogar in Noten ausnotiert ist. Auch die Eulenburg-Edition teilt unmittelbar vor Beginn des Kyrie (S. 6) mit: »Requiem da capo et poi segue il Kyrie.« Doch das Graduale hätte erneut mit dem Requiem-Vers zu beginnen. Da das Graduale nicht ursprünglich vorgesehen war (Quelle C), hat Cimarosa den Vers >requiem aeternam< nicht neu komponiert, sondern nachträglich eine Wiederholung des ersten Verses vom Beginn des Introitus eingetragen und nur den Vers >In memoria aeterna< komponiert (A; B). Auf S. 12 gibt die Partitur diesen Wiederholungshinweis leider nur in Italienisch an, folgend der Violin- und Orgelstimme mit den Worten »Dopo l' epistola da capo il Requiem, e poi subito In Memoria appresso.« (»Nach der Epistel folgt das Requiem da capo, worauf das In Memoria unmittelbar anzuschließen hat.«) Erst aus dem kritischen Bericht geht die Wiederholung einwandfrei hervor (S. 135). In der Eulenburg-Ausgabe fehlt sie leider ganz; dort beginnt das Graduale gleich mit dem zweiten Vers (>in memoria<). Die Wiederholung des Requiem-Verses schon vor dem Kyrie sollte offenbar A und B zufolge dann unterbleiben; allerdings wäre die Liturgie dann unvollständig. Diesen Widerspruch benennt die Neu-Ausgabe nicht eindeutig und löst ihn auch nicht auf. Zweifelsfrei wäre jedenfalls der Requiem-Vers als Beginn des Graduale vor dem In Memoria zu wiederholen. Sinnvoll wäre ausserdem gewesen, die entsprechende Wiederholung vor dem Kyrie ad libitum zu ergänzen, nach Belieben vielleicht sogar unter Auslassung der instrumentalen Einleitung (Takte 1 bis 4). So, wie der Notentext in der Neu-Ausgabe dargestellt ist, könnten jedoch nicht gründlich informierte Dirigenten im Gegenteil ohne weiteres den Hinweis übersehen und das In memoria als zweiten Satz unmittelbar an das Kyrie anschließen. Allenfalls bewanderten Kirchenmusikern dürfte ein solcher Fehler nicht passieren. Weitere Fragen zur Praktikabilität der Neu-Ausgabe gelten der Besetzung. Die Viola ist in den primären Quellen zwar angegeben, aber nicht ausgeschrieben und soll üblicherweise, wenn verfügbar, mit dem Basso in Oktaven geführt werden. Die Eulenburg-Ausgabe ging wohl richtig, diese Partie als >ad libitum< zu bezeichnen; allerdings hat sie das Manko, in der Partitur nur auf der ersten Seite ein Incipit vorzugeben, die weitere Realisation aber völlig den Ausführenden selbst zu überlassen. (Ob im Leihmaterial eine Viola-Stimme verfügbar ist, ist mir nicht bekannt.) Die Breitkopf-Ausgabe ergänzt nun dankenswerterweise eine durchgängige Viola-Stimme und notiert sie im Kleinstich aus. Dies ist umso wichtiger, als im nachgestellten Libera einige obligate Viola-Stellen Cimarosa selbst ausnotiert hat - auch wenn ungeachtet des Kleinstichs der Eindruck erweckt wird, die Viola sei im ganzen Requiem obligat. (Zumindest bei Aufführungen ohne Libera könnte sie ohne weiteres auch wegbleiben.) Dabei hat der Herausgeber in der Regel die Viola-Verstärkung nur bei Chorsätzen vorgesehen; bei solistischen Abschnitten bleibt sie weg. Dies ist aus Gründen der Balance auch sinnvoll. Weitaus problematischer ist die Behandlung der Hörner, die im Tuba mirum, Lacrymosa, Offertorium, Agnus Dei, in der Communio und im Libera mitwirken. Im Manuskript sind, wie der kritische Bericht mitteilt, die Jagdhörner meistens in alter Manier gesetzt (im Bass-Schlüssel, eine Quart höher zu lesen als notiert). Die Neu-Ausgabe löst dies auf zu Hörnern in Es (basso) im Violinschlüssel, lässt aber verwirrenderweise im Libera die Stimmung ohne Angabe von Gründen nach C wechseln, was unpraktikabel ist. In der Eulenburg-Ausgabe sind durchgängig Hörner in Es tief vorgegeben. Wenn auf alten Instrumenten gespielt wird, können die Hornisten jedoch die alte Notation eigentlich ohne weiteres lesen. Um die Ausgabe für heutige Instrumente verwendbar zu machen, wäre zumindest eine einheitliche, heute übliche Transposition sinnvoller gewesen (am besten in B tief). Es sei hier auch angemerkt, dass Cimarosa durchaus häufiger Gebrauch von Stopftönen macht, die auf historischen Jagdhörnern obligat sind, während bei modernen Instrumenten die Spieler in der Regel leider nicht willens oder fähig sind, diese so wichtige Farbe einzusetzen. Auch hierzu wäre ein entsprechender Hinweis im Textapparat hilfreich gewesen. Die Eulenburg-Partitur wird der Benutzer der Breitkopf-Ausgabe zumindest zum Vergleich heranziehen wollen, zumal sie auf einer anderen Quelle beruht (der Kopie F aus der Stiftsbibliothek Einsiedeln) und in vielen Details andere Lesarten mitteilt. Dies betrifft insbesondere auch die zum Teil unterschiedliche Verteilung von Soli und Tutti. Beispielsweise beginnt der erste Satz in der Breitkopf-Ausgabe (T. 5) solistisch, in der Eulenburg-Ausgabe (wohl fälschlich) mit dem Tutti. Auch im weiteren Verlauf ist in beiden Ausgaben die Verteilung von Soli und Tutti nicht immer schlüssig, mitunter gar unpraktisch. Die Breitkopf-Ausgabe hat eine weitere Eigentümlichkeit vorzuweisen: In alla breve mitgeteilte Teile >a quattro battute< (>Te decet hymnus<, >Christe eleison<, >In memoria<, >Juste judex<, >Supplicanti homo reus<, >Mihi quoque spem dedisti<, der zweite Teil des Confutatis, das Amen nach dem Lacrymosa und das Cum sanctis tuis), aber auch das als zusammengesetzter 3/8-Takt wiedergebene Hosanna werden durch Trennstriche im Takt dem heutigen Brauch angeglichen, die so entstehenden Doppeltakte aber auch doppelt gezählt. Laut kritischem Bericht sind in der Autograph-Partitur A diese Stellen in der Regel doppeltaktig, in den Stimmen (B) jedoch einzeltaktig notiert. Es wäre vielleicht praktikabler gewesen, sich für die einzeltaktige Variante zu entscheiden; insbesondere Amateur-Chöre und Kantoreien sind eine solche Taktzählung bei Doppeltakten nicht gewohnt. Schließlich wird der Benutzer der Breitkopf-Ausgabe auch die vom Herausgeber ergänzten spieltechnischen Anweisungen hinterfragen und fallweise ergänzen müssen. Gottlob teilt der kritische Bericht fragwürdige Stellen detailliert mit. Manche Entscheidung mutet freilich seltsam an: So sind in den letzten Takten des Libera (S. 131, T. 241f) im Alt auf einer über zwei Takte gehaltenen Ganze-Note zwei Triller-Zeichen gesetzt, deren choristische Ausführung einige Schwierigkeiten bereiten dürfte und die hier durchaus nicht sinnvoll ist. Erst dem Bericht (S. 144) ist zu entnehmen, dass die beiden Zeichen in A, nicht aber den Chorstimmen (B) zu finden sind. Auch Tempi, Tempo-Relationen, Dynamik-Angaben und inkonsistente Artikulationen wird sich der Praktiker oft ergänzen müssen, wo immer der Herausgeber allzu skrupulös vorging. So fragt man sich beispielsweise, warum zu Beginn des Sanctus (S. 82) kein [p] ergänzt wurde, das sich doch aus dem f assai in T. 7 recht klar ergibt. Unlogisch scheint auch die Violin-Artikulation zu Beginn des Dies irae, und gleich im ersten Takt würde man sich nach dem Muster der Folgetakte auf den Achteln sf, auf den punktierten Vierteln p ergänzen wollen. Ein weiteres Ärgernis: Im gesamten Vokalsatz gibt es äusserst wenige Dynamik-Angaben; das meiste ist erst aus dem Instrumentalsatz zu schließen. Fazit: Man wird der Breitkopf-Ausgabe wohl allein schon aufgrund der käuflichen Orchesterstimmen gegenüber der Eulenburg-Ausgabe den Vorzug geben. Dem Ausführenden bleibt jedoch einiges zu tun, sich das Material persönlich einzurichten. Vom Blatt ist die Ausgabe so nicht zu spielen. In puncto Praktikabilität hat sich die Breitkopf-Ausgabe also in mancher Hinsicht selbst einen Bärendienst erwiesen. Dessen ungeachtet sei auf Cimarosas meisterhaftes Requiem nachdrücklich aufmerksam gemacht - ein noch zu entdeckendes Schlüsselwerk der geistlichen Musik des 18. Jahrhunderts. Dirigierpartitur: PB 5284. Orchesterstimmen: OB 5284 . Studienpartitur: PB 5313 . Klavierauszug: EB 8636 index | ||||||||||